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In vielen Gesprächen hat ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer die Politik davon überzeugt, sich für den Meisterbrief in Europa einzusetzen. Nun sollen die weitere Forderungen des Handwerks im Bundestagswahlkampf gehört werden. Ob Höhere Berufsbildung, Abschaffung des Solidaritätsbeitrages, Senkung der Sozialabgaben oder Spitzensteuersatz: Im Interview mit dem Deutschen Handwerksblatt berichtet Wollseifer, welche Themen das Handwerk mit Blick auf den 24. September beschäftigen.

DHB: Die Parteien haben ihre Wahlprogramme für die Bundestagswahl vorgelegt. Gehen sie für das Handwerk in die richtige Richtung?
Wollseifer: Ja, aber – könnte man zumindest für CDU, SPD und FDP sagen. Bei diesen Parteien gibt es Überschneidungen etwa im Bereich der Bildung. Unsere Höhere Berufsbildung, für die wir jetzt ein paar Jahre lang gekämpft haben, findet sich in den Programmen. Darüber sind wir sehr froh, weil wir Nachwuchs für die Handwerksbetriebe gewinnen müssen. Wir sind auch froh darüber, dass unsere Forderung aufgegriffen wurde, den Soli abzuschaffen. Dass das allerdings nur für bestimmte Einkommensgruppen der Fall sein soll, wie es die SPD vorschlägt – erst nur die Geringverdiener und danach die mittleren und höheren Einkommen –, ist für uns nicht akzeptabel.

"Zwei-Klassen-Gesellschaft kommt nicht in Frage"

Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft kommt für das Handwerk nicht in Frage. Wir fordern einen genauen Fahrplan für den Soli-Abbau. Der fehlt uns bei der CDU. Aus Sicht des Handwerks müssen wir 2019, spätestens aber 2020, starten und dann rasch und in kurzen Zeitintervallen dazu kommen, dass alle entlastet werden.


DHB: Und wie bewerten Sie die Aussagen zu den Sozialsystemen?

Wollseifer: Auch wir im Handwerk sind natürlich dafür, dass unsere Sozialsysteme tragfähig bleiben. Deutschland ist laut einer OECD-Studie Vize-Weltmeister, wenn es um das Zahlen von Sozialabgaben und Steuern geht. Für die Betriebe ist die Schmerzgrenze längst erreicht, weitere Belastungen darf es für sie nicht geben. Damit unsere Betriebe wettbewerbsfähig bleiben, dürfen die Sozialabgaben auch künftig 40 Prozent keinesfalls überschreiten. Die Programme bleiben dazu allerdings sehr vage.


DHB: Was sagen Sie denn zu den Vorstößen, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge jetzt so schnell wie möglich zu senken?
Wollseifer: Natürlich hätten wir nichts gegen eine Beitragssenkung. Schließlich ist unsere Forderung, dass die maximale Grenze bei den Sozialabgaben 40 Prozent ist. Es ist aber auch nachzuvollziehen, dass die BA eine gute Rücklage für sicher auch wieder einmal schlechtere Zeiten braucht. Sollte die Arbeitslosenversicherung aber in einem Jahr noch so gute Einnahmen haben, dann muss auch etwas an die zurückfließen, die das erarbeiten.


DHB: Immer mehr müssen den Spitzensteuersatz zahlen. Kommt da die vorgeschlagene Senkung des Spitzensteuersatzes genau richtig?
Wollseifer: Das Programm der SPD sieht zwar vor, Bürger und Betriebe durch ein späteres Greifen des Spitzensteuersatzes um 15 Milliarden Euro zu entlasten. Weil aber gleichzeitig der Spitzensteuersatz angehoben werden soll, frisst das die Entlastung gleich wieder auf: Unterm Strich wird nichts gewonnen. Die im Handwerk häufigen Personengesellschaften werden nach diesem Konzept höher besteuert als Kapitalgesellschaften. Gerade geschäftlich erfolgreiche und innovative Betriebe werden dann zu denen gehören, bei denen der Spitzensteuersatz greift. Das behindert Investitionen und schwächt letztlich die Betriebe.


DHB: Wie sieht es denn mit den Wahlprogrammen der Grünen und der Linken aus?

Wollseifer: Natürlich sind uns Themen wie Energiewende, ökologische Ansätze, Klimaschutz, Luftreinhaltung wichtig. Denn wir sagen immer: Nur mit dem Handwerk kann die Energiewende gelingen. Tagtäglich arbeiten rund 1,5 Millionen Mitarbeiter in rund 450.000 Handwerksbetrieben und 30 Gewerken vor allem an Maßnahmen, um die Energieeffizienz zu steigern. Für unsere Betriebe bleibt aber von zentraler Bedeutung, dass eine sichere und bezahlbare Energie- und Stromversorgung gewährleistet ist. Die Finanzierung muss mittelstandsgerecht und fair sein und darf nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Wir sind gegen eine Vermögenssteuer, wie von den Grünen gefordert, und sind froh, dass die SPD davon abgerückt ist. Eine Bürgerversicherung, wie sie sich Linke und Grüne vorstellen, lehnen wir ab. An der Stelle sind uns die Vorschläge in den Programmen von CDU, SPD und FDP schon näher.


DHB: Nochmal zurück zur Bildungspolitik. Sie haben sich für das BerufsAbitur sehr stark gemacht. Wie läuft das an?
Wollseifer: Wir werden jetzt in mehreren Bundesländern testweise mit drei Modellen an den Start gehen und dann wird sich herauskristallisieren, welches Modell wir schnell in die Breite ziehen und zu einer Bildungsmarke machen können. Danach werden hoffentlich auch die Länder mitziehen, die jetzt noch verhalten sind.


DHB: Immer wieder werden geduldete Flüchtlinge während ihrer Ausbildung abgeschoben, weil es Probleme mit der Präzisierung der 3+2-Regelung gibt.
Wollseifer: Wenn Flüchtlinge abgeschoben werden, die schon in der Ausbildung sind, dann ist das für diese jungen engagierten Leute eine persönliche Katastrophe und für die ausbildenden Betriebe eine Demotivation erster Güte. Und es ist ein wirtschaftlicher Schaden, weil ein Ausbildungsplatz unbesetzt bleibt. Es geht nicht um diejenigen, die Asyl haben, sondern um die Geduldeten. Unsere Betriebe brauchen Rechts- und Planungssicherheit und die Gewissheit, dass der Azubi, der einen Lehrvertrag unterschrieben hat, seine Ausbildung auch beenden kann. Wir haben mit Bundesinnenminister de Maizière über diese Probleme gesprochen.


DHB: Und wie hat er reagiert?
Wollseifer: Das Bundesinnenministerium hat Ende Mai Anwendungshinweise herausgegeben, um zu erreichen, dass die Behörden die 3+2-Regelung bundesweit einheitlich und ausbildungsfreundlich handhaben. Diese Hinweise sind aber nicht rechtlich verbindlich. Wie die 3+2-Regelung umgesetzt wird, das ist immer noch Ländersache. In einigen Bundesländern läuft es gut, in Bayern und Baden-Württemberg wird es restriktiver gehandhabt.


DHB: Die geduldeten Flüchtlinge dürfen nichts machen, weder einen Integrations- noch einen Sprachkurs besuchen.
Wollseifer: Ja, das ist eine nicht hinnehmbare Situation. Das birgt viel Konfliktpotenzial, und Integration erreicht man so ganz sicher nicht. Weil Sprache der Schlüssel zur Integration ist, müssen Geflüchtete eine frühzeitige und ausreichende Sprachförderung erhalten. Man muss jedoch klar sagen: Auch wenn unsere Betriebe händeringend nach Fachkräften suchen, kann die Integration von Flüchtlingen allenfalls ein kleiner Mosaikstein zur Fachkräftesicherung sein, ganz sicher nicht die Lösung. Doch unabhängig von der Flüchtlingsbewegung gibt es einen Bedarf an ausländischen Fachkräften. Den müssen wir definieren, und wir müssen klar regeln, wie wir ihn decken. Deshalb hat das ZDH-Präsidium ein Positionspapier zum Thema Zuwanderung beschlossen und fordert ein Einwanderungsgesetz. Denn wir brauchen gezielte Zuwanderung in Mangelberufen. Bisher hat man den Fokus bei qualifizierter Zuwanderung zu sehr auf akademisch Gebildete gelegt. Das muss sich ändern. Künftig müssen stärker beruflich Qualifizierte in den Blick genommen werden. Wir müssen fachlich Vorgebildete in Mangelberufen akquirieren, weil wir genau die brauchen, ebenso wie junge fachlich Talentierte, die eine Ausbildung machen wollen, um danach hier zu bleiben. Bisher sind die gesetzlichen Regelungen zur Zuwanderung über viele Gesetze und Verordnungen verstreut, was es kompliziert und intransparent macht und eher abschreckt. In einem Einwanderungsgesetz sollte das zusammengefasst werden. Es ist gut, dass das Thema bei der SPD und auch der CDU bereits auf der Agenda steht.


DHB: Die EU hat mit ihrem Dienstleistungspaket die Meisterpflicht ins Visier genommen. Das ist jetzt ad acta gelegt. Wie ist das dem Handwerk gelungen?

Wollseifer: Das deutsche Handwerk hat gezeigt, dass es kampagnenfähig ist. Wir haben alle mobilisiert – von den Spitzen des ZDH in Berlin, in Brüssel, den Handwerksvertretern in den Ländern bis hin zu den kleinsten Innungen. In den vielen Gesprächen mit Verantwortlichen – auch in der EU – und mit den Europa-Abgeordneten haben wir überzeugen können, dass der Meisterbrief zwingend erhalten bleiben muss. Ergebnis war auch, dass wir Ende Mai einen wichtigen Etappenerfolg erzielen konnten: Im Rat haben sich die Mitgliedstaaten bei zwei von drei Teilen des Dienstleistungspakets auf einen gemeinsamen Standpunkt geeinigt: bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung und beim Notifizierungsverfahren. Auch künftig entscheidet weiter der nationale Gesetzgeber, ob und wie ein Beruf reglementiert wird. Und was uns besonders wichtig war: Der Meisterbrief und die gesetzliche Mitgliedschaft in den Kammern bleiben. Der EU-Kommission geht es immer wieder darum, den Binnenmarkt komplett zu liberalisieren. Berufszugangsregulierungen sind da ein absolut rotes Tuch. Dazu muss man aber wissen: Deutschland befindet sich mit Blick auf Berufszugangsregulierungen noch nicht einmal im Mittelfeld. In anderen EU-Ländern ist es nicht der Meisterbrief, sondern dort sind es Zertifizierungen, über die der Berufszugang geregelt wird. Großbritannien hat das Thema jahrelang getrieben, obwohl das Land selbst wesentlich mehr Berufszugangsregulierungen als Deutschland hat. Zur Seite standen den Briten die Niederländer, und die haben in etwa so viele Regulierungen wie wir. Wir haben im ersten Schritt die Parteien in Berlin überzeugt, dass Bildung und Ausbildung Sache der Nationalstaaten bleiben müssen. Und wir haben erreicht, dass Gesetzgebungen aus Berlin von der EU nicht korrigiert werden können. Das ist wirklich ein sehr gutes Ergebnis. Zudem ist dokumentiert worden, dass die hohe Qualität im Handwerk im Sinne des Allgemeinwohls ist. Ich gehe davon aus, dass nun auch das Europäische Parlament diesen Ergebnissen zustimmt. Erst dann ist dieses Thema – erstmal – ad acta gelegt.


DHB: Das Thema ist also nicht endgültig vom Tisch?

Wollseifer: Nein, es geht auf europäischer Ebene und auch nationaler Ebene weiter. Die Europäische Kommission hat wiederum ein Gutachten in Auftrag gegeben, das bewerten soll, ob Berufszugangsregulierungen für Staaten in Europa nützlich oder nicht nützlich sind. Die Auftragnehmer sind Wissenschaftler, deren bisherige Veröffentlichungen eine negative Sicht erkennen lassen. Das riecht schon nach einer zielgerichteten Beauftragung. Wenn also das Gutachten die Meinung der Kommission bestätigen sollte, wovon auszugehen ist, haben wir das Thema in zwei bis drei Jahren wieder auf dem Tisch. Darauf bereiten wir uns vor, und wir behalten die Handlungsweise der Kommission zu diesem Thema mit Argusaugen im Blick.


DHB: Die Europafestigkeit ist erst einmal wieder hergestellt. Wie sieht es mit der Verfassungsmäßigkeit in Deutschland aus?

Wollseifer: Das ist eine schwierige Thematik. Wir müssen gute Argumente haben, um Berufe aus B1 wieder in die Anlage A zu nehmen.


Das Interview führten Irmke Frömling und Rüdiger Gottschalk.
Erschienen am 24. August 2017 im Handwerksblatt und Norddeutsche Handwerk.

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