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ZDH-Präsident Wollseifer warnt, dass die Politik die Bedeutung beruflicher Ausbildung für unsere Zukunftsfähigkeit zu wenig im Blick hat. "Die Parteien haben alle nicht auf dem Schirm, dass sie bei der beruflichen Bildung – auch finanziell – deutlich stärker einsteigen müssen, wenn ihre Pläne und Vorhaben gelingen sollen" und wir die anstehenden Zukunftsaufgaben bewältigen wollen, betonte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber Stefan Lange und Christian Grimm von der "Augsburger Allgemeinen". Herr Wollseifer, die Corona-Pandemie und ihre Folgen klingen offenbar langsam ab. Was ist Ihr Gesamteindruck: Wie hat das Handwerk die letzten anderthalb Jahre wirtschaftlich überstanden? Ich denke nicht, dass wir die Pandemie schon überstanden haben. Sie wird uns alle und somit auch das Handwerk mindestens noch in den Winter hinein begleiten, mit ihren Ausläufern womöglich noch länger. Das Handwerk war sehr unterschiedlich betroffen, in einigen Gewerken heftig mit monatelangen Schließungen etwa bei den körpernahen Dienstleistungen, den Messebauern oder den Cafébereichen von Bäckereien und Konditoreien. Aber die meisten Betriebe haben es über diese schwierige Zeit hinweg geschafft und setzen jetzt auf stabile und wieder steigende Umsätze. Im Bau- und Ausbaubereich hingegen gab es während der Pandemie relativ wenige Auswirkungen. Und die Auftragslage ist nach wie vor gut.

Aber wer gerade ein Haus oder einen Carport baut, stöhnt – auch eine Folge der Pandemie - über ausbleibende Materiallieferungen. Ist Besserung in Sicht?
Es ist in der Tat immer noch so, dass es Unterbrechungen in den Lieferketten gibt, weil die Logistik weltweit als Folge der Pandemie nicht richtig funktioniert. Zweitens wurden Produktionskapazitäten in der Pandemie deutlich zurückgefahren, und die lassen sich nicht so schnell wieder aufbauen, wie es erforderlich wäre. Gleichzeitig brummen die Märkte in Asien und den USA wieder und haben einen ungeheuren Materialhunger.

Wir hatten auf etwas positivere Nachrichten gehofft.
Die können sie haben: Wir sehen – Chips und Elektroteile einmal ausgenommen – zumindest für einige Baumaterialien wie etwa beim Holz mittlerweile in der Tat etwas Entspannung. Ende September fällt endlich das Holz-Einschlagsverbot, da dürfte dann mehr Holz in den Kreislauf kommen. Die Knappheit wird schrittweise nachlassen. Ich rechne für die Zeit nach dem Winter mit einem Zustand, der vielleicht noch nicht Normalität bedeutet. Aber wir werden eine Situation haben, mit der wir im Baubereich dann planbar und gut umgehen können.

Hört sich schon viel besser an.
Allerdings werden die Preise wegen der Verknappung zunächst einmal auf einem höheren Niveau bleiben. Wir hatten in den letzten Monaten bei Baumaterialien Preissteigerungen von 20 bis 30 Prozent. Es gab in der Spitze gar Verdreifachungen der Preise. Das schlägt sich zwangsläufig in den Kalkulationen nieder. Die Auftragsvorlaufzeiten am Bau betragen bis zu 15 Wochen. In anderen Bereichen des Handwerks sind es acht bis neun Wochen. Für viele Unternehmen bedeutet das, dass sie bei frühzeitig geschlossenen Verträgen mit einem Minus enden, weil da die höheren Materialkosten noch nicht eingerechnet waren. Bei Neuaufträgen müssen die Teuerungen beim Material dann natürlich enthalten sein, wenn die Betriebe nicht von vorneherein ein Minusgeschäft machen wollen.

Bei uns ist der Hausbau doch ohnehin schon viel teurer als im Ausland?
Bei uns ist die Qualität auch sehr hoch: sehr solide Bauweise und hochwertige Materialien. Es gibt ja außerdem auch viele entlastende Faktoren. Die niedrigen Zinsen etwa oder die finanziellen Entlastungen und auch Förderungen durch Bund und Länder für junge Familien. Da allerdings sollte man sich jetzt mal Gedanken machen, ob diese Förderung nicht der Preisentwicklung angepasst werden muss. Das legen wir der zukünftigen Regierung nahe.

Haben wir uns bei den Baumaterialen zu sehr auf die Produktion im Ausland verlassen und schauen deshalb jetzt in die Röhre? Ist es beim Holz also möglicherweise so wie bei den Impfstoffen?
Grundsätzlich profitieren wir alle von einem freien und fairen Welthandel. Beim Holz sollten wir uns aber in der Tat Gedanken machen, wo nachgesteuert werden kann, z.B. ob wir die Normen und Richtlinien so belassen, wie sie derzeit sind. Wir könnten zum Beispiel durchaus Borkenkäferholz etwa zu Dämmstoff verarbeiten, das wurde in der Vergangenheit nur begrenzt gemacht. China hingegen nimmt es gerne. Wir haben darüber hinaus viel zu wenige Sägewerke in Deutschland.

Wer nur kleine Aufträge zu erteilen hat, einen kaputten Wasserhahn zum Beispiel, sucht oft sehr lange nach einem Betrieb. Viele Unternehmen können sich ihre Aufträge aussuchen, manche sagen bereits zugesagte Termine nicht mal mehr ab, wenn sie stattdessen einen lukrativeren Job  übernommen haben. Sind das nur vereinzelte Probleme oder haben wir eine sich verfestigende Entwicklung vor uns?
Es mag in Einzelfällen vorkommen, dass es zu Kollisionen kommt.. Dass Stammkunden bedient werden und dass man die in der Kartei hat, das ist klar. Aber das ist nicht nur im Handwerk so, das ist überall so und auch üblich. Aber es ist ganz und gar nicht so, dass der kleine Auftrag nicht mehr attraktiv ist, wenn die Kapazität da ist. Die Betriebe machen, was sie können, wenn sie die Kapazitäten haben, lehnen sie Aufträge nicht ab.

Womit wir bei der Personalsituation in Ihrer Branche wären. Auszubildende und ausgebildete Fachkräfte waren in den letzten Jahren Mangelware. Hat sich die Situation gebessert?
Die Lage ist insgesamt nicht schlecht, wenn Sie mich das aber vor zwei Wochen gefragt hätten, wäre ich noch zuversichtlicher als im Moment. Wir befinden uns in einem Aufholprozess zum letzten Jahr, das wegen Corona natürlich in jeder Form außergewöhnlich war, doch das Aufhol-Rennen hat sich im Juli leider etwas verlangsamt. Das kann natürlich auch an der Ferienzeit liegen. Gegenüber dem Vorjahresjuli liegt das Plus Ende Juli 2021 bei den neu abgeschlossenen Lehrverträgen bei 6,5 Prozent. Im Vormonat hatten wir hier um 13,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahres-Juni zulegen können. Insgesamt haben wir also einige tausend Auszubildende mehr als vergangenes Jahr, aber an das Vor-Corona-Niveau knüpfen wir damit noch nicht an. Wir werden jedenfalls in den nächsten Wochen nicht darin nachlassen, diesen Rückstand aufzuholen: In dem von uns angestoßenen Sommer der Berufsbildung wird es noch zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen geben, bei denen wir über die berufliche Ausbildung informieren und Jugendliche so dafür begeistern und gewinnen möchten. In unserer Imagekampagne heißt es „Wir sind Handwerker, wir schaffen das.“  - ich bin mir sicher, hier auch.

Wie groß ist die Lücke?
Das ist noch eine ganze Schippe Arbeit, um an die Zahlen aus der Zeit vor Corona anzuknüpfen. Dabei sind die Angebote für junge Menschen da: Im ganzen Land gibt es noch 30.000 freie Ausbildungsplätze in allen Lehrberufen. Die mögen nicht immer direkt vor der eigenen Haustür liegen, aber sind erreichbar. Ich kann alle Jugendlichen nur ermutigen, sich das anzuschauen. Wenn sie in ihrem Leben eine echte Perspektive suchen, dann sollten sie einen Beruf im Handwerk lernen: Denn bei all den anstehenden Zukunftsaufgaben im Klimaschutz, bei der Energie- und Mobilitätswende, bei SmartHome und E-Health wird die Arbeit ganz sicher nicht ausgehen.

Der Mangel an Auszubildenden ist nichts Neues. Er wird seit Jahren beklagt. Müssten Ihre Handwerksbetriebe den Lehrlingen nicht einfach mehr zahlen und für bessere Bedingungen sorgen, um attraktiv zu sein?
Da werden oft Äpfel mit Birnen verglichen. Die Höhe von Ausbildungsvergütungen variiert sehr stark – je nach Gewerk, Region und vorhandenen Branchen-Tarifverträgen. Da gibt es natürlich klare Unterschiede, wenn man etwa die Azubi-Vergütung in der Automobilindustrie im Südwesten Deutschlands und im Friseurhandwerk in Sachsen-Anhalt nebeneinander legt. Über das Gesamthandwerk gesehen liegen wir aber im guten Mittelfeld, teils auch deutlich drüber. Im Hochbau etwa kommen die Auszubildenden in ihrem letzten Lehrjahr nahe an 1.500 Euro heran. Das ist ein Wort.  

Der Klimaschutz ist in aller Munde. Erneuerbare Energien sollen ein Mittel im Kampf gegen die Erderwärmung sein, Solaranlagen und Windräder müssen aber von Fachleuten, von Handwerkern aufgebaut werden. Hat die Regierung das Problem Ihrer Meinung nach schon richtig erkannt?
Nein! Wenn ich in die Wahlprogramme schaue, bin ich irritiert. Die Bedeutung der beruflichen Bildung wird dort viel zu wenig bedacht. Es fehlt der Politik der Weitblick. Dort will man mehr Klimaschutz, mehr Energieeffizienz, mehr E-Mobilität. Dass für dieses Mehr in allen Zukunftsbereichen auch noch mehr Handwerkerinnen und Handwerker gebraucht werden und man spätestens jetzt damit anfangen muss, die auch auszubilden, das wird kaum bis gar nicht bedacht. Mit dem jetzigen Stamm an Beschäftigten werden wir all das zusätzliche wohl kaum hinbekommen. Wir brauchen dafür mehr qualifizierte Fachkräfte. Die wachsen nicht auf den Bäumen. Dennoch haben Bund und Länder seit Jahrzehnten die falschen Prioritäten in der Bildungspolitik gesetzt. Die Parteien haben alle nicht auf dem Schirm, dass sie bei der beruflichen Bildung – auch finanziell – deutlich stärker einsteigen müssen, wenn ihre Pläne und Vorhaben gelingen sollen.
 
Wie meinen Sie das?
Die Bildungspolitik konzentriert sich seit langem zu einseitig auf die akademische Ausbildung und hat die berufliche Bildung vernachlässigt. Das Ziel ist nach wie vor, möglichst viele junge Menschen an die Unis zu kriegen. Dahin wird viel Geld und Aufmerksamkeit gelenkt. Wir kommen zum Beispiel als Handwerk bei der Berufsorientierung an den Gymnasien kaum vor. Die Ausstattung der Berufsschulen müsste auch viel besser sein, wenn wir es ernst meinen, dass berufliche und akademische Bildung gleichwertig sind. Wir tragen das seit Jahren gebetsmühlenartig vor, geändert hat sich noch viel zu wenig.  

Eigentlich müssten sich doch junge Leute genau für die Berufe interessieren, in denen sie den Klimaschutz ganz praktisch voranbringen können?
Das sehe ich auch so. Ich persönlich finde es gut, dass Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen, aber ich bin etwas enttäuscht, dass es in der Regel beim Protest bleibt. Wenn man das Engagement zu Ende denkt, sollte man es nicht ganz überwiegend nur beim Demonstrieren belassen.

Sondern?
Sondern auf die Idee kommen, aktiv Klimaschutzarbeit zu leisten. Und das geht am besten im Handwerk. Kennenlernen kann man das zum Beispiel mit einem Praktikum in einem Betrieb, der Solarfelder oder Windräder aufbaut. Oder der Ladesäulen für E-Autos oder energieeffiziente Gebäudetechnik installiert. Möglich ist Klimaschutzarbeit bereits heute in etwa 450.000 Handwerksbetrieben, in denen fast 2,5 Millionen Beschäftigte in knapp 30 Gewerken täglich solche Energie-, Umwelt- und Klimaschutzaufgaben umsetzen. Aber wir brauchen da eben auch und noch mehr Nachwuchs. Ohne ihn kommen wir mit dem Klimaschutz nicht voran. 

Zentralverband des Deutschen Handwerks e. V. (ZDH)
Mohrenstraße 20/21
10117 Berlin


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